8. Dezember

Ich schaute verträumt aus dem Fenster und auf die schneebedeckten Strassen. Ich sah den Leuten zu wie sie in dicken Winterjacken Einkäufe erledigten oder einfach die in die Schaufenster von Läden schauten. Von der kleinen Kuschelecke welche ich mir auf der Fensterbank eingerichtet hatte kann man perfekt auf die Strasse vor dem Wohnblock, in dem ich mit meinem Freund wohne, sehen. Auf meinen Beinen liegen ein Notizbuch und mein Handy. Meine Freundin war so nett und hatte heute für mich mitgeschrieben, da ich krank war und ich, selbst wenn ich gewollt hätte nicht in die Schule hätte gehen können. Mein Freund hätte das niemals zugelassen. Ich schaute wieder auf die Strasse. Auf einmal sah ich ein etwa fünf Jahre altes Kind, welches mit seiner Mutter unterwegs war. An einem kleinen Stand der heisse Kastanien und ein paar Süssigkeiten verkaufte hielt es an, seine Mutter neben ihm. Es zeigte nach oben und sah dann zu seiner Mutter. Sie nahm ihre Handtasche und suchte darin herum. Dann nahm sie ihr Portemonnaie und gab dem Mann hinter dem Stand etwas Geld. Der Mann wiederum gab dem Kind eine Zuckerstange. Dass Kind umarmte seine Mutter und dann gingen sie weiter. Dies erinnerte mich an die Zeit als ich meinen Adoptiveltern noch wichtig war. Diese Zeit ging so ungefähr von dann als sie mich adoptiert hatten bis zur 4. Klasse. Danach war ich ihnen nur noch wichtig, wenn ich gute Noten schrieb. Ich erinnere mich immer noch daran wie es war, wenn ich nicht mindestens ein 5 nachhause brachte.

 

«Schatz heute wurde wieder eine 4.8 nach Hause gebracht.», sagte meine Mutter in abfälligem Ton zu meinem Vater. Dieser wandte sich an mich und sagte: «Bringst du mir bitte diese Note?» Auch wenn er mehr oder weniger ruhig herüberkam wusste ich, dass er innerlich kochte, würde ich nur etwas Falsches sagen, könnte das mein Ende sein. Ich nickte, ging zu meinem Rucksack und holte die Matheprüfung raus. Es war eine sehr schwierige Prüfung gewesen, nur wenige hatten überhaupt zwischen einer 4 und einer 4.5 geschweig denn darüber. Und somit hatte ich mit einer 4.8 die beste Note in der Klasse, doch ich wusste, dass, das meine Eltern nicht interessieren würde. Also sagte ich davon lieber nichts. Ich nahm die Prüfung und gab sie meinem Vater. Er schaute sie sich genau an und dann nochmal die Note. «Und was hast du zu dieser Note zu sagen?», fragte er. Ich überlegte krampfhaft was ich sagen sollte und antwortete schliesslich mit: «Es tut mir sehr leid, Mutter und Vater, ich hätte härter und länger für diese Prüfung lernen sollen. Dann wäre die Note besser gewesen, ich habe das alles mir selbst zuzuschreiben.» «Das ist wahr, also hast du bestimmt nichts dagegen das Abendessen ausfallen zu lassen und noch etwas zu lernen.», sagte mein Vater und faltete seine Hände während er mich erwartungsvoll  ansah. Ich schluckte und hoffte das mein Magen jetzt nicht knurrte, als ich antwortete: «Natürlich nicht Vater, ich gehe sofort nach oben.» Mein Vater nickte und entliess mich mit einer Handbewegung nachdem er mir die Prüfung unterschrieben zurückgab. Ich lief die Treppe unseres Hauses hoch, in mein Zimmer und schloss die Tür. An dieser liess ich mich fast sofort runterrutschen. Tränen liefen über mein Gesicht, tropften auf meine Hose und auf den Boden. Es tat immer unbeschreiblich weh, wenn sie so etwas taten.

 

Ich musste mir auch jetzt noch einige Tränen wegwischen, wenn ich daran zurückdachte. Ich hatte damals auch kaum Freunde da ich immer lernen musste und somit, keine Zeit hatte. Wenn ich mit den wenigen Freunden, die ich damals hatte, etwas unternahm, musste ich meine Eltern sagen das ich ihnen beim lernen half. Wir machten zwar öfters noch etwas anderes, damit ich auch mal etwas Spass hatte, allerdings mussten wir danach immer noch lernen und ich musste dann meinen Eltern die Notizen mitbringen als Beweis. Auch an Weihnachten hatte ich ab derselben Zeit kein schönes Fest mehr. Ich bekam entweder spezielles Schulmaterial oder Bücher. Bücher an sich wären ja nicht schlimm, aber es waren immer nur Schulbücher.

 

 

 

Ich sass mit meinen Eltern auf dem Sofa am Weihnachtsabend, wir öffneten gerade Geschenke. Ich hatte bis jetzt wieder nur Schulmaterial bekommen und langsam wurde es schwer das falsche Lächeln aufrecht zu erhalten. Ich musste mir immer wieder positive Sachen einfallen lassen, wie zum Beispiel, dass ich mir die Sachen immerhin nicht selber kaufen musste oder dass Manche wirklich nützlich sind. Nachdem ich ein neues Federmäppchen ausgepackt hatte stellte sich meine Mutter vor mich und hielt etwas hinter ihrem Rücken versteckt. «Wir haben hier noch ein letztes Geschenk für dich, Schatz und ich denke es wird dir gefallen.», sagte sie und gab mir ein weiters Päckchen. Ich fühlte Hoffnung in mir aufsteigen, nahm das Geschenk glücklich und sagte: «Dankeschön.» Ich fing an es auszupacken und musste mich beherrschen es normal zu mache und nicht einfach das Geschenkpapier weg zu fetzen. Doch ich fühlte, wie ich innerlich zerriss als ich sah was für ein Buch es war, und auf einmal wurde es sehr schwer meine Maske aufrecht zu erhalten. Der Titel des Buches war «Mathe von der Primarschule bis zum Collegelevel einfach erklärt». Ich schluckte und lächelte meine Eltern an. «Möchtest du nicht gleich hoch gehen und es dir anschauen?», fragte mein Vater mich. Ich nickte und sagte: «Ja gerne.» «Na dann geh mein Schatz, und fröhliche Weihnachten.», sagte meine Mutter freudig. Ich stand auf und lief in mein Zimmer. Ich schloss die Tür und setzte mich aufs Bett. Und wieder einmal durchnässten Tränen meine Klamotten. Es war viel zu lange her das ich mal ein schönes Weihnachten hatte.

 

 

 

Dies war nur eine der vielen Erinnerungen, aber eine der schmerzhafteren. Ich fühlte wie mehr Tränen meine Wangen runter liefen. Und gegen meine Eltern aufgelehnt habe ich mich erst vor neun Monaten mit knappen 16 Jahren. Damals als ich meinen Freund kennengelernt hatte mit dem ich jetzt zusammenlebe. Er hatte mich damals, fast wortwörtlich zur Schulpsychologin gezerrt, und mich dazu gedrängt ihr alles zu erzählen. Sie war auch diejenige, die dafür gesorgt hatte das ich bei meinen Eltern aus- und bei meinem Freund einziehen konnte. Was mich allerdings wirklich traf, war, dass sie mich danach offenbar in die Wüste geschickt hatten, denn sie kontaktierten mich nie, weder an Weihnachten noch an meinem Geburtstag. Es hatte mich damals schwer getroffen und es trifft mich immer noch schwer. Ich fühlte wie Tränen meine Wange runter strömten, doch ich machte mir nicht die Mühe sie weg zu wischen, da ich wusste das sie nur von neuen ersetzt werden würden. Was ich jedoch nicht erwartete war eine warme Hand welche sie weg wischte und eine liebevolle Stimme welche fragte: «Schatz weinst du wieder wegen der Erinnerungen an deine Eltern?» Ich nickte und schaute in die sanften, hellbraunen Augen von Simon. Er warf mir ein sanftes Lächeln zu bevor er eine Tasse mit Tee auf den Tisch neben der Fensterbank stellte. Dann hob er mich vorsichtig hoch, setzte sich auf die Fensterbank und nahm mich auf seinen Schoss. Er legte zärtlich seine Arme um mich, drückte meinen Kopf an seine Brust und strich mir durchs Haar. Ich atmete seinen Duft ein und hielt mich an seinem Pullover fest. Ich fühlte mich so sicher und geliebt, wenn er mich so hielt. In diesem Moment fiel mir ein, dass wir dieses Jahr unser erstes gemeinsames Weihnachten haben werden. «Weisst du was Simon, ich habe das Gefühl das dieses Weihnachten mal wieder eine schönes wird.», sagte ich und schniefte. Er drückte mich enger an sich und sagte: «Glaub mir mein Engel das wird es, dafür werde ich sorgen.» Ich nickte und so sassen wir einfach nur da und kuschelten.  

 

Von Sarina Baumgartner