Unser Weihnachtsbaum

Ich sitze auf einem Stuhl vor unserem Weihnachtsbaum. Der Stuhl ist alt, die Sitzfläche und Lehne ziert ein ausgebleichtes Giraffenmuster. Es regnet, der Bildschirm meines Laptops ist bereits übersät mit kleinen und grösseren Tropfen. Unser grauer Kater tritt neben mich und lässt sich von mir streicheln. Sein Fell ist bereits etwas feucht vom Regen, aber noch nicht komplett durchnässt. Er steht an mir hoch und seine nassen Pfoten hinterlassen feuchte Flecken auf meiner Hose, während ich mühsam nur mit einer Hand weiterschreibe.

 

Langsam beschleichen mich die Zweifel. War das hier wirklich eine gute Idee? Mein Bildschirm wird immer wie nässer, genau wie der Teil der von langem Katzenfell bedeckten Tastatur, der nicht von meinem vorgebeugten Oberkörper abgeschirmt wird. Ein Zug fährt vorbei, die etwa sechs Meter entfernte Lärmschutzmauer dämpft die Fahrtgeräusche. Unser Tannenbaum steht hoch da, auf halbem Weg zwischen mir und der Mauer, die er um etwa zwei Meter überragt. Die Brombeerranken, die fast die ganze Mauer sowie die kleine Böschung vor ihr bedecken, hangeln sich langsam an ihm hoch. Vielleicht sollten wir die vor Weihnachten noch entfernen. Oben, an der Spitze der Tanne befinden sich die Äste mit den Tannzapfen, es sind sicher zwanzig an der Zahl. Inzwischen fährt der dritte Zug vorbei, und der Regen wird und wird nicht schwächer. Morgen werden wir alle nach draussen gehen und die Tanne schmücken, zumindest den Drittel, den wir erreichen können.

 

Es ist faszinierend zu sehen, wie unser Weihnachtsbaum jedes Jahr ein Stück grösser wird. An den unteren Ästten klebt noch der rote Kerzenwachs der letzten Jahre. Inzwischen verwandeln sich die Tropfen auf meinem Bildschirm langsam in Bäche und Seen, und mein Text besteht aus rot unterstrichenen Wörtern, weil es sich einhändig nur schlecht korrekt schreibt. Der Kater hat sich unter meinen Stuhl verzogen, weil der Regen ihm unterdessen zu stark geworden ist. Ich stehe auf, nehme meinen Stuhl ungelenk in eine Hand und balanciere den halb zugeklappten Laptop mit der anderen. Langsam laufe ich zurück und suche meinen Weg durch den Teppich aus feuchtem grünem Gras und braunen Blättern. Der Kater folgt mir und verschwindet schliesslich unter einem Tisch, während ich den Stuhl zurückstelle, die Haustür öffne und unseren Garten wieder hinter mir lasse.

 

 

 

 

Von Sophie Jutzi