briller et brûler

«Liechter, woni härechume lüchtet u blinkets» singt Kuno Lauener über Paris in den Kopfhörern in den Ohren des Mädchens in der Metro. Und: «Schis Paris»

 

Nein, nicht schis Paris, denkt das Mädchen, es liebt diese Stadt. Liebt sie und hat Angst vor ihr.

 

Stadt der Lichter, Stadt der Liebe, doch für wen scheint das Licht, für wen brennt die Liebe.

 

Da liegt jemand im Hauseingang, da weint jemand in der Metro, und ja da brennt etwas, Kotze im Hals, Tränengas in den Augen, Scham auf der Haut.

 

La Ville des Lumières wird so genannt, weil Louis XIV damals Laternen in der Stadt aufstellen liess um die Kriminalität zu vermindern, und damit Paris zur ersten Stadt mit Strassenbeleuchtung wurde.

 

Das Mädchen steht auf einem Dach in der Nacht und trinkt Tee und raucht eine Zigarette, nicht alleine. Alle diese Leute auf diesem kleinen Fleck, man sieht es am besten von oben, das Häusermeer mit all diesen Kaminen und unter jedem Kamin ein Appartement, ein Mensch, eine Familie, eine Colocation, viel zu viele Menschen, man sieht es am besten am Morgen in der Metro, es gibt so viele davon und doch ist jede vollgestopft. Es ist so wunderschön hier oben, das Lichtermeer. Wäre es noch schöner, wenn wir uns küssen würden, fragt er und das Mädchen sagt vielleicht.
Stadt der Lichter, Stadt der Liebe. Doch Liebe ist das nicht, warm gibt es trotzdem.

 

«Paris, es strahlt i allne Farbe, mä schreit vor Glück, oder isch gstorbe», singt Endo Anaconda in den Kopfhörern.

 

Vorletzte Woche am Sonntagabend wurde die Weihnachtsbeleuchtung in den Champs-Elysées angestellt. Die sogenannt schönste Avenue der Welt war während mehrerer Stunden für Autos gesperrt, überall Sicherheitsleute und die Strasse vollgestopft mit Menschen. Das Mädchen war auch dort. Es mag diesen Ort nicht, allgemein den Westen der Stadt. Die Milliarden von kleinen roten und weissen Lämpchen in den die Strasse säumenden Bäumen wurden angeknipst und man sagte wohl oooh und aaah. Die Leute spazierten herum, mitten auf der Strasse und schauten die Bäume an. Mehr passierte nicht.

 

«In Paris brennen Autos und in Zürich mein Kamin» , singt Faber in den Kopfhörern.

 

Im Kino lief der neue Film «Les Misérables». Er spielt in Montfermeil, einem Ort in der Pariser Banlieue. Ein Junge klaut aus Langeweile einen kleinen Löwen in einem Zirkus, ein Polizist schiesst ihm bei der Verhaftung ein Gummigeschoss ins Gesicht, die Situation wurde gefilmt. Der Film wird von der Polizei in Beschlag genommen, ein Polizist hinterfragt seine Position, ein anderer dreht durch. Die Situation eskaliert, drei Polizisten eingeschlossen in einem grossen, für die Banlieue typischen Hochhaus mit der wütenden Meute, der Löwenjunge mit einem Molotow-Cocktail in der Hand, und dann ist der Film zu Ende, man weiss nicht ob er ihn wirft oder nicht. Ein Zitat aus «Les Misérables» Victor Hugo aus dem Jahre 1862 wird eingeblendet: «Mes amis, retenez ceci, il n’y a ni mauvais herbes, ni mauvais hommes. Il n’y à que de mauvais cultivateurs ». Es wurde geklatscht. Das Mädchen ging bedrückt und aufgewühlt nach Hause.

 

Und in der Metro hatte jemand auf den Boden gepisst.

 

Nina Hurni