rostrot

 

Die Luft roch nach Schnee. Frisch. Kühl und frei.

 

Dieses Versprechen nach fallendem Weiss und die Kälte hiessen den Winter willkommen.

Der Geruch versprach nicht nur er erinnerte auch. Erinnerte daran, dass es von nun an kälter würde und dass es an der Zeit war den Wintermantel aus dem Keller zu holen. Jener Ort, den ich zuletzt betreten hatte, um die Herbstdekoration herauszusuchen.

 

Mein Keller barg Dinge, von denen ich nicht wusste, dass ich sie noch besass. Er war überladen und vollgestopft. Selten betrat ich ihn. Wühlte mich dann durch Kisten und Regale. Auf der Suche nach längst Vergessenem.

 

So dachte ich, als ich heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit Richtung Bahnhof eilte. Die klammen Hände tief in den Jackentaschen vergraben, den Kopf gesenkt. Ich grüsste weder die Schüler noch die Geschäftsmänner im Anzug noch die Wanderer. Auch sie grüssten nicht.

Verschlafen oder vor Kälte zitternd, hetzten sie an mir vorbei, auf die Uhr blickend oder auf die Schuhe. Jeder in seinen Gedanken versunken. Alle demselben Zielort zustrebend.

 

Manchmal frage ich mich, was passiert wäre, hätte ich mich endgültig von diesem Strom mitziehen lassen. Von diesem gehetzten, eigensinnigen Treiben. Ich stelle mir vor, dass mein Leben genauso verlaufen wäre, wie damals, als ich noch zu ihnen zählte. Zu all jenen, die sich den Jahreszeiten entsprechend kleiden, den Inhalt ihres Kellers kaum kennen und wie jeden Morgen zum Bahnhof hetzen. Den Kopf gesenkt.

 

Doch an jenem Morgen erfasste mich das Scheinwerferlicht des heranrauschenden Autos.

Der Fahrer hatte es genauso eilig, wie die Fussgänger. Geblendet blieb ich stehen. Hob den Kopf. Ein Mann rempelte mich im Vorbeigehen an, warf mir einen empörten Blick zu, hetzte weiter.

 

Dann sah ich sie. Rostrot. Anmutig eine Pfote vor die nächste setzend, bewegte sie sich auf mich zu. Es war die prächtigste Füchsin, die ich jemals gesehen hatte. Ihr Anblick verschlug mir den Atem. Ihre Eleganz stand im Gegensatz zu dem rüden Verhalten der Menschen um mich. Wie verzaubert nahm ich den Moment wahr. Gefühlte Stunden vergingen.

 

Das Auto fuhr vorüber, ich blinzelte und das Tier war verschwunden.

Als wäre es nie da gewesen.

 

Die Luft roch nach Schnee. Frisch. Kühl und frei.

Versprechen und Erinnerung. Rostrot.

 

von Nina Hausmann