zwanzig Franken

«Kauf dir etwas, dass dich glücklich macht», sagte meine Mutter heute Morgen zu mir, als sie mir die zwanzig Franken gab.

 

 

Schon seit geraumer Zeit überlegte ich mir, was das wohl sein könnte. Ein Spielzeug vielleicht? Oder doch eher etwas leckeres zu essen?

 

 

Dann wurde ich von meinen Grübeleien abgelenkt, weil mir eine traumhaft schöne Melodie ins Ohr drang. Suchend drehte ich mich im Kreis, um den Ursprung dieser bezaubernden Musik zu finden. Es war so ein Strassenmusiker glaube ich. So einer, der am Rande der Verkaufshäuschen auf einer Wolldecke sass und spielte, um ein wenig Geld zu verdienen. Doch dieser Musikant war anders. Um ehrlich zu sein, er sah ziemlich abgemagert und verlottert aus. Und er hatte auch kein richtiges Instrument, er hatte nur unterschiedlich gefüllte Weingläser vor sich stehen, an denen er mit den Fingern rieb. Das erzeugte also diese melodischen Klänge? Wie das wohl ging?

 

 

«Liv, kommst du», riss mich die Stimme meiner Freundin Maja aus meinen Gedanken. «Wir wollen uns einen Lebkuchen kaufen». Sie zog mich an meinem Jackenärmel, doch als sie merkte, dass ich mich noch immer nicht von der Stelle rührte, blickte sie in die gleiche Richtung, in die ich schon die ganze Zeit fasziniert starrte. Zu dem Mann mit den Weingläsern.

 

 

«Iiihhh, ist der eklig», rief Maja. «Schau mal, Liv, der hat ja ganz schmutzige Kleider an. Seine Hosen sind zerrissen und der trägt ja gar keine Jacke. Komm, wir gehen zum Lebkuchenstand.»

 

 

Maja und Selen, meine Freundinnen, assen ihre Lebkuchen. In der anderen Hand hielten die beiden Tüten voller Dinge, die sie sich am Weihnachtsmarkt gekauft hatten. Ich stand noch mit leeren Händen da. Nachdenklich betrachtete ich meine Zwanzigernote, die mir Mama heute Morgen gegeben hatte. Was sollte ich mir damit kaufen? Hunger hatte ich nicht, Durst auch nicht, kalt war mir auch nicht. Ich hatte alles, was ich brauchte. Ich kam wieder ins Grübeln.

 

 

Erneut hörte ich die vertraute Melodie und mir schoss ein Gedanke durch den Kopf. «Bin gleich wieder da», sagte ich zu meinen Freundinnen. Ich ging an einigen Ständen vorbei und dachte angestrengt nach. Puppen, Teddybären, Kleider, Esswaren, Süssigkeiten, nein das brauchte ich alles nicht. Dann war ich mir sicher, was ich zu tun hatte. Ich quetschte mich durch die Menschenmenge und meine Augen suchten nach einer am Boden hockenden Gestalt.

 

 

Da sah ich ihn. Den Mann mit den zerrissenen Hosen, der der keine Jacke trug, obwohl es vermutlich unter null war. Der Strassenmusikant, der mit eiskalten Fingern an den Weingläsern rieb. Ich ging zu ihm hin. In diesem Moment gab es nur noch ihn und mich.

 

 

Ich kniete mich hin. Sah ihm in die dunklen Augen. Er hörte auf zu reiben. Sah mich an. Dann griff ich entschlossen in meine Jackentasche und holte die Zwanzigernote heraus. Ich legte sie ihm in die kalten, rauen Hände und schloss diese um das Geld. Überrascht und verwirrt betrachtete er die Note, dann schüttelte er bestimmt den Kopf. «Das musst du nicht tun», sagte er zu mir, gab mir das Geld zurück. Nun war es an mir, den Kopf zu schütteln.

 

 

«Wissen Sie, meine Mama hat mir das Geld heute Morgen gegeben und gesagt, ich soll damit etwas kaufen, das mich glücklich macht. Und na ja, Ihre Musik macht mich glücklich.  Wenn ich sie höre wird mir ganz warm ums Herz und ich dachte, Sie können das Geld besser gebrauchen als ich. Ich habe alles, was ich brauche.» Als ich ihn ansah, den Strassenmusikanten, sah ich die Tränen in seinen Augen glitzern.

 

 

«Danke», sagte er. Einfach nur Danke. Und ich, ich war glücklich.

 

Von Nina Hausman