24. Dezember 2019
«Könntest du mir bitte die Milch geben?», frage ich meine beste Freundin Marie, während ich das abgewogene Mehl in die Schüssel mit den anderen Zutaten kippte. Sie reicht mir lächelnd die Milch und sagt: «Aber natürlich.» Ich messe die Milch ab und giesse sie dann auch rein. Marie schüttet noch den Zucker dazu und presst den Deckel drauf. Kurz darauf fängt der Mixer an alles zusammen zu mischen. Nach einer Weile nehmen wir ihn aber such schon wieder weg. Als ich die Schüssel auf die...
22. Dezember 2019
Verehrte Frau Nachbarin Ich habe soeben Ihren Brief von vor zwei Jahren unter meiner Fussmatte gefunden. Höflichst möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ein genialer Mensch vor einiger Zeit für jeden von uns einen Briefkasten vor der Haustüre montiert hat, falls Sie nächstes Mal diesen benützen würden, so hätten sie grosse Chancen auf eine Antwort in unter 700 Tagen. Es tut mir ausgesprochen leid, dass ein Zweig meines Himbeerstrauchs es gewagt hat, auf Ihre Seite des Zauns zu...
21. Dezember 2019
Die Luft roch nach Schnee. Frisch. Kühl und frei. Dieses Versprechen nach fallendem Weiss und die Kälte hiessen den Winter willkommen. Der Geruch versprach nicht nur er erinnerte auch. Erinnerte daran, dass es von nun an kälter würde und dass es an der Zeit war den Wintermantel aus dem Keller zu holen. Jener Ort, den ich zuletzt betreten hatte, um die Herbstdekoration herauszusuchen. Mein Keller barg Dinge, von denen ich nicht wusste, dass ich sie noch besass. Er war überladen und...
20. Dezember 2019
Es regnete in Strömen und seine Jacke war schon völlig durchweicht. Er hatte die Kapuze hochgeschlagen, trotzdem schlugen ihm immer wieder Tropfen ins Gesicht und liefen seine Wangen hinunter. Die Hände tief in den Taschen vergraben stand er im einsamen Licht einer Strassenlaterne. Er fror. Unter ihr erstreckte sich das Lichtermeer der Stadt. Tausende Lichter, von Strassenlaternen, Autos, den Fenstern, all diese Lichter zeigten, dass da Menschen waren, Menschen, die Sorgen hatten, Probleme....
18. Dezember 2019
Ich bin ich, und das ist genug, ich bin nicht angewiesen auf andere, mein Glück ist nicht abhängig von anderen Menschen. Ich bin mir selbst Gesellschaft genug. Hat Zora irgendeinmal in ihr Tagebuch geschrieben, dass sie vor der Reise gekauft hat, schöner Einband aus Leine, eine nicht ganz günstige Investition und ausserdem der wohl schwerste Gegenstand in ihrem Rucksack. Aber es lohnt sich, hat Zora sich gesagt. Traurig, ohne dich Weihnachten zu feiern! Heute sind Oma und Opa gekommen, und...
17. Dezember 2019
Vor mir liegt die Weite, unberührt. Einzig der Wechsel von weiss zu weiss zeigt, wo die Erde dem Himmel weicht. Weiss ist die Farbe der Stille und jene umgibt mich in all ihrer Pracht. Und alles, was ich sehe, sind die Fussspuren im Schnee, sie führen voran, ein Pfad in der Leere. Wer bist du, fremde Seele? Wer bist du, dass du hier liefest, dass du diese Spur hinterliessest? Du bist vorangegangen, allein auf dieser unberührten Weite, du hast einen Weg geformt, gingst mutig voran. Ich folge...
16. Dezember 2019
Mit einem glücklichen Seufzen lehne ich mich an ihre Schulter. Sie lächelt und legt sanft einen Arm um mich. Unser Sofa mag nicht das bequemste sein, aber mit ihr könnte ich Stunden darauf verbringen. Das einzige, was den Raum erhellt, sind die Lichterketten, die hinter uns hängen, sie werfen einen warmen weissen Schein auf den ganzen Raum. Uns und das Sofa, den Kaffe Tisch, den kuschligen Teppich, den Eingang zur Küche und natürlich das kleine Babybettchen vor uns. Ich schaue sie an und...
15. Dezember 2019
Früher, sagt die Grossmutter da gab es noch es Schnee. Da fielen noch gefrorene Wassertröpfchen vom Himmel und hüllten die Erde in Weiss. Das war damals, bevor sich der Treibhauseffekt bemerkbar machte. Bevor die Temperaturen stiegen, und alles zu sterben begann. Da war die Grossmutter noch jung, und sie wehrte sich. Sie verlangte einen Wandel, zusammen mit all den anderen jungen Menschen, die nicht akzeptieren wollten, dass sie mit den Fehlern aller Generationen vor ihnen leben mussten....
13. Dezember 2019
Nur noch zwei Kieselsteine und ein dürres Stöckchen sind von ihm übriggeblieben. Sie sind offene Augen und ein sich festkrallender Arm. Vergessen liegen die Körperteile auf dem Fensterbrett, bieten einen trostlosen Anblick. Doch einst stand da ein kleiner Schneemann. Ein Kunstwerk, erschaffen aus dem ersten fallenden Weiss dieses Jahres. Von Kinderhänden zum Menschen geformt, zum Leben bestimmt. Traurig blickende Augen und ein hilflos ausgestreckter Arm hoffen nun auf Erlösung aus ihrem...
12. Dezember 2019
«Liechter, woni härechume lüchtet u blinkets» singt Kuno Lauener über Paris in den Kopfhörern in den Ohren des Mädchens in der Metro. Und: «Schis Paris» Nein, nicht schis Paris, denkt das Mädchen, es liebt diese Stadt. Liebt sie und hat Angst vor ihr. Stadt der Lichter, Stadt der Liebe, doch für wen scheint das Licht, für wen brennt die Liebe. Da liegt jemand im Hauseingang, da weint jemand in der Metro, und ja da brennt etwas, Kotze im Hals, Tränengas in den Augen, Scham auf der...

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